Isländisches Garn, Mini Mill und Dekonstruktion

In Island sind Stricksachen allgegenwärtig, am augenscheinlichsten sind natürlich die Lopaseyur (sorry Uschi, falls es falsch flektiert ist), die traditionellen isländischen Pullover. Diese werden aus mehreren Strangen Plötulopi (eigentlich ein Vorgarn) oder aus Lettlopi von Istex hergestellt.

In diesen Platten kommt das Plötulopi. Eingepackt in Plastik sind sie aber nur im Supermarkt, nicht in den Strick- und Wollläden

Diese Pullover werden seit den 1950er Jahren in dieser Art hergestellt und neben der isländischen Wolle war v. a. auch die Konstruktion speziell (von unten rundgestrickt und auch den runden Oberteil mit den angesetzten Ärmeln. So muss fast nichts zusammengenäht werden. Diese Lopaseyur sind auch heute wieder sehr populär (die Finanzkrise hat in Island auch zu eine Art Rückbesinnung geführt), die sichtbare Präsenz geht auch auf die vielen TouristInnen zurück, die sich damit eindecken und ihn gleich tragen!

Ein Lopaseya aus Uppspuni Garn. Typisch alles an einem Stück und der runde Schulterbereich.

Strickwaren und Garne gibt es an vielen Orten. Sehr oft schliessen sich die Frauen zu Gemeinschaften zusammen und so gibt es fast in jedem Dorf ein Lokal wo Strickwaren und sonstige von Hand hergestellte Produkte verkauft werden. Ich hatte die Gelegenheit, in Myvatn mich mit den beiden gerade anwesenden Frauen zu unterhalten. Von ihnen lernte ich, dass die Muster Namen haben, dass zu gewissen Anlässen DesignerInnen für neue Muster beauftragt wurden etc.. Auf meinen Einwand, dass diese Pullover für die Schweizer Winter fast zu warm sind, lernte ich, dass heute auch in Island die Pullis nicht mehr aus 3-fachen Plötulopi gestrickt werden, sondern wenn überhaupt nur aus 2-fachen Plötulopi oder Lettlopi oder dann aus einer Strange Plötulopi und einer Strange Einband (einfädiges Garn).

Das gleiche Muster verschiedenen umgesetzt /zweifarbig, vielfarbig). Das Muster heisst “Anniversary Sweater” und ist gratis erhältlich bei Istex

Auch ich habe dann einen Pulli gekauft, als Geschenk. Man sieht es nicht so gut auf den Fotos, aber es gibt die Qual der Wahl, jeder Pulli ist ja ein Unikat. Derjenige, der mir schlussendlich am besten gefiel und auch die richtige Grösse hatte, war eben erst fertig geworden und lag noch nass zum Trocknen auf.  Nach eingehender Qualitätskontrolle durfte ich ihn dann nass mitnehmen und zu meiner Freude war er erst noch von einer der anwesenden gestrickt worden.

Das Geschenk mit der Strickerin XXX

Im Gegensatz zu uns gibt es auch in fast jedem Supermarkt Garn. Natürlich isländisches Garn von Istex, aber oft habe ich auch Sandnes Garn aus Norwegen gesehen.

Lettlopi im Supermarkt, als Alternative zu zweifach Plötulopi.

Neben Istex Garn gibt es aber jetzt neu auch isländisches Garn aus einer kleinen Produktion, Uppspuni.

Mittels crowdfunding konnten Hulda und ihr Mann sich eine Mini Mill aus Kanada anschaffen und so die eigene und zugekaufte Wolle verarbeiten. Hulda war sehr nett und nahm sich die Zeit, Linn und mir die ganze Spinnerei zu zeigen. So eine Mini Mill besteht aus verschiedenen Komponenten, beginnend bei der Waschanlage, Wolf (zum Lockern der gewaschen Wolle), natürlich eine Kardiermaschine und schlussendlich die Spinnmaschine wo aus dem Vorgarn das Garn gesponnen wird. Anschliessend wird das Garn gesetzt (mit Dampf, das fand ich beeindruckend) und in Strangen oder Knäuel gewickelt.

Vorne rechts der Wolf, hinten die Maschine, die die unterschiedlichen Fasern trennt.
Spinn- und Zwirnmaschinen. Leider nicht in Betrieb
Und die Dämpfmaschine. Jeder Faden läuft durch dieses Aluminium umwickelte Rohr um den Drall zu setzen.
Verschiedene Muster, die Hulda auf ihren Maschinen gesponnen hat. Neben Schafswolle auch Ziegenhaar (isländisches Kaschmir), Hundehaar und Alpaka (glaube ich).

Im oberen Stock des Gebäudes ist dann der eigentliche Verkaufsladen. Sehr gemütlich eingerichtet, Hulda meinte, die Raumaufteilung sei einem traditionell isländischem Haus nachempfunden. Es gibt eine gemütliche Strickecke, wo sich auch Frauen aus der Umgebung regelmässig zum Stricken und Spinnen treffen. Auch das hat Tradition (natürlich nicht nur in Island), neben der Tatsache, dass gemeinsames Handarbeiten mehr Spass macht (das war ja damals kein Hobby, sondern Notwendigkeit oder Arbeit) gab es auch praktische Gründe, so konnte z. B. Lampenöl gespart werden.

Hulda, Besitzerin von Uppspuni im Shop. In den Gestellen naturfarbige Wolle und einige pflanzengefärbte Strangen.

Preislich kann das Garn von Hulda nicht mit dem Garn von Istex konkurrenzieren. Das muss es aber auch nicht, da auch ein anderes Garn entsteht. Es ist viel weicher und die Farben sind echte Naturtöne, im Gegensatz zum Istex Garn, das die Naturtöne einfärbt. Weicher und feiner wird das Uppspuni Garn, weil Hulda einen Grossteil der langen, rauheren Deckhaare entfernt. Islandschafe haben wie viele alte Schafrassen zwei Typen von Fasern: langes, eher dickeres Deckhaar (hält Regen ab) und weiche Unterwolle (für die Wärme). Interessant fand ich, dass Hulda nicht alles Deckhaar entfernen kann, sondern etwas für die Stabilität des Garnes drin lassen muss. Ich freue mich auf jeden Fall riesig, ihre Garne zu verstricken (einen Teil habe ich auch schon verschenkt).

thank you Hulda for the tour and the conversation.

 

Trotz der heissen Temperaturen war aber in den letzten Wochen Sockenstricken angesagt, oder jedenfalls Teile davon. Mit meinem pflanzengefärbten Sockengarn (BFL 4ply superwashed) war das trotz den heissen Temperaturen einigermassen möglich, auch wenn ich oft Zugfahrten und kühle Nachtwinde ausgenutzt habe.

Nach diversen Beispielen von verschiedenen Fersen für den Workshop (bis zum 15. August gibt es noch den Frühbucherpreis) habe ich auch die Fersen dekonstruiert. Der Nerd in mir hat dieses Experiment sehr genossen und ich glaube, das hilft schon für das Verständnis der unterschiedlichen Konstruktionen. Auch hier zeigte sich, dass die Bumerangferse nie zu meiner Standardferse werden wird – aber da sind ja alle anders. Überrascht hat mich allerdings, dass meine “Standardferse”, die klassische Ferse mit dem Käppchen (oder wie sie Elizabeth Zimmermann in ihrem Buch Knitting without Tears nennt, die “deutsche Ferse”) dekonstruiert die einfachste Ferse ist. Im Gegensatz zu den andern entsteht sie nicht durch verkürzte Reihen, sondern besteht im Wesentlichen aus zwei Rechtecken, die durch zusammenstricken von Maschen verbunden werden.

Käppchenferse
Tomatenferse nach Cat Bordhi
Bumerangferse

Durch all diese Tätigkeiten, Sommer im Allgemeinen und bevorstehenden Umzug haben sich einige andere Tätigkeiten etwas verzögert. Gefärbt wurde in letzter Zeit wenig und auch die Wiedereröffnung des Onlineshops mit Garnen und Kammzügen muss noch etwas warten. Garne und Kammzüge gibt es natürlich wie bisher im Laden und Atelier zu kaufen. Offen ist immer, wenn die Wollklause geöffnet hat, sonst nach Vereinbarung. Aktuelle Öffnungszeiten der Wollklause bis zum 15. September: jeweils Mi von 14 bis 17. Danach Sibylle wieder immer am Mi, Fr und Sa Nachmittag da!